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Dokumente zur Geschichte des Weimarer Goethehauses im zwanzigsten Jahrhundert

Antragsteller Dr. Paul Kahl
Fachliche Zuordnung Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Förderung Förderung von 2008 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 86504995
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In der Museumsforschung hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass Museen allgemein und so wie man sie heute versteht, unter den Bedingungen der Aufklärung entstanden sind, und zwar vor der Französischen Revolution. Älter als der Louvre von 1793, der lange irrtümlich als das erste moderne Museum Europas galt, sind – bei voller Erfüllung moderner Museumskriterien – einige Museen in Deutschland und in Italien. Diese frühen Fälle sind ausschließlich Gemäldegalerien und Antikensammlungen. Eine thematische Auffächerung setzt später ein, Literaturmuseen finden sich unter den frühen Beispielen nicht. Die Frage, wann und unter welchen Umständen erste Literaturmuseen gegründet wurden, war bisher vielmehr noch überhaupt nicht untersucht worden. Literaturmuseen befinden sich zumeist an biografischen Stätten eines Schriftstellers, ein Umstand, der bei Kunst- und Antikenmuseen keine Entsprechung hat. Sie folgen zumeist der Musealisierung einer solchen Stätte – eines „Dichterhauses“ – nach, zumeist erst im 20. Jahrhundert. Insofern führte die Frage nach dem Literaturmuseum zu einem weiteren Phänomen, das die Museumsforschung zuvor noch so gut wie gar nicht historisch erörtert hatte: jenen Museen, die nicht auf einer Sammlung beruhen, sondern auf einem Ort, einer Stätte, einer Geburts-, Wohn- und Sterbestätte eines Künstlers, eines Schriftstellers und die man alltagssprachlich „Dichterhaus“ nennt oder „Künstlerhaus“, „Komponistenhaus“. Deshalb lautete die Leitfrage des Projektes: Seit wann gibt es musealisierte Dichterhäuser, und wie sind sie historisch entstanden? Oder, weniger alltagssprachlich: Seit wann und wie bilden Gesellschaften ‚Kulturelle- Erbe’-Konstellationen (cultural heritage) an literarischen Gedächtnisorten (lieux de mémoire) aus? Das Projekt hat anhand dieser Leitfrage die Frühgeschichte der Musealisierung der Häuser deutschsprachiger Dichter im 19. Jahrhundert – das sind zunächst die Häuser Schillers und Goethes – erschlossen und als eigenen musealen Typus beschrieben. Dieser Typus hat sich, sieht man von nicht-institutionalisierten Frühformen ab, im 19. Jahrhundert herausgebildet, nach und aufgrund einer umfassenden Aufwertung des Individuums und der vielfach beschriebenen ‚Kunstreligion‘ entsprechend. Das Weimarer Schillerhaus, 1847 institutionell eröffnet, erfüllt als erstes ehemaliges bürgerliches Wohnhaus volle Museumskriterien. Der Schwerpunkt des Projektes lag allerdings, anders als zunächst vorgesehen, auf dem dortigen Goethehaus, dessen Geschichte sich mit der allgemeinen Identitätsgeschichte der Deutschen symbolisch verbunden hat, und zwar im 19. wie im 20. Jahrhundert. 1842 wäre es – beinahe – zum ersten Nationalmuseum der Deutschen geworden; auch im 20. Jahrhundert wurde es zur Stätte politischer Bekundung, und zwar ebenso dezidiert unter den Bedingungen des NS-Staates (Museumsneubau von 1935) wie in der DDR und ihrem kulturellen Selbstverständnis als eigentlicher Sachwalter deutscher Kulturtradition. Philologisches Hauptergebnis des Projektes ist deshalb eine zweibändige Dokumentation der Geschichte der Weimarer Goethestätten. Diese lassen exemplarisch Merkmale von Dichterhäusern sichtbar werden: Sie erscheinen als „authentisches“ Abbild des Dichters und seiner Biografie; tatsächlich sind sie zumeist inszenierend konstruiert und von Späteren mit Bedeutung aufgeladen worden (Weimar-Mythos vom „authentischen“ Goethehaus als Ausdruck vermeintlich ungebrochener Kulturtradition). Insofern sind ‚Dichterhäuser‘, oder allgemeiner: ‚Häuser der Erinnerung‘, als ein eigener Typus in eine historische Museumsforschung einzubeziehen. Dessen Wurzeln liegen nicht – wie bei sammlungsführenden Museen – in der Aufklärung, sondern in der kunstreligiösen Emphase und den ihr folgenden Institutionalisierungsbemühungen des 19. Jahrhunderts.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Das Scheitern der „immerwährenden Nationalstiftung“ in Weimar und die Gründung des Goethe-Nationalmuseums. In: Klassik Stiftung Weimar. Jahrbuch 2010: Das Zeitalter der Enkel. Kulturpolitik und Klassikrezeption unter Carl Alexander. Göttingen 2010, S. 250–266
    Paul Kahl
  • Das Goethehaus am Frauenplan in Weimar. Nationalmuseum, Goethe-Gedenkstätte und Symbolort der deutschen Geschichte. Vorüberlegungen zu einer Gesamtdeutung. In: Jahrbuch der Deutschen Schiller-Gesellschaft 55 (2011), S. 19–48
    Paul Kahl
  • Museum – Gedenkstätte – Literaturmuseum. Versuch einer Begriffsklärung am Beispiel von Schillers Marbacher Geburtshaus 1859–2009. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 2010, S. 339– 360 [erschienen 2011]
    Paul Kahl
  • Schillers und Goethes Weimarer Arbeitszimmer. Geschichte ihrer Inszenierung. In: Klassik Stiftung Weimar. Jahrbuch 2012: Literatur ausstellen. Museale Inszenierungen der Weimarer Klassik. Göttingen 2012, S. 85–96
    Paul Kahl
  • Hitler und das Goethehaus. Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar hat seine Geschichte noch kaum aufgearbeitet. In: Neue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe, Nr. 21, 27. Januar 2014, S. 25 (Schweizer Ausgabe S. 37)
    Paul Kahl, Hendrik Kalvelage
  • Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar. Band 1: Das Goethehaus im 19. Jahrhundert. Dokumente. Hrsg. v. Paul Kahl und Hendrik Kalvelage. Göttingen 2015
    Paul Kahl, Hendrik Kalvelage
  • Der Erinnerungsort Goethe-Nationalmuseum in Weimar. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 69 (2015), H. 788, S. 97–102
    Paul Kahl, Hendrik Kalvelage
  • Der Geschichtsort Schillerhaus in Weimar. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken (69) 2015, H. 797, S. 84–89
    Paul Kahl
  • Die Erfindung des Dichterhauses. Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar. Eine Kulturgeschichte. Göttingen 2015
    Paul Kahl
  • Hans Wahl und das Goethe-Nationalmuseum im Nationalsozialismus. In: Hans Wahl im Kontext. Weimarer Kultureliten im Nationalsozialismus. Hrsg. v. Franziska Bomski, Rüdiger Haufe und W. Daniel Wilson. (Publications of the English Goethe Society 84, H. 3, 2015) London 2015, S. 190–202
    Paul Kahl
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1179/0959368315Z.00000000054)
  • Häuser der Erinnerung. Zur Geschichte der Personengedenkstätte in Deutschland. (Schriften der Stiftung Luther-Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt 18) Leipzig 2015
    Anne Bohnenkamp, Constanze Breuer, Paul Kahl und Stefan Rhein
  • „… geschaffen durch / die hochherzige Unterstützung / des Führers und Reichskanzlers / Adolf Hitler …“. Das Weimarer Goethe-Nationalmuseum in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Museen im Nationalsozialismus. Akteure, Orte, Politik. Hrsg. v. Tanja Baensch, Kristina Kratz-Kessemeier und Dorothee Wimmer. Köln, Weimar, Wien 2016, S. 293–305
    Paul Kahl
  • Kulturgeschichte des Dichterhauses. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 61 (2017), S. 325–345
    Paul Kahl
  • Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar. Göttingen : Wallstein Verlag. Band 2: Goethehaus und Goethe-Museum im 20. Jahrhundert. Dokumente. Hrsg. v. Paul Kahl (2019). 1036 Seiten
    Paul Kahl
 
 

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