Systemische, aufgabenbasierte Gestaltung von multinationalen Verbundproduktionssystemen in einem dynamische Produktionsumfeld
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die fortschreitende Globalisierung verändert nachhaltig die Industriestrukturen im verarbeitenden Gewerbe. Selbst kleine und mittelständische produzierende Unternehmen sehen sich mittlenweile gezwungen, ihre Wertschöpfungsaktivitäten international zu verteilen und grenzüberschreitend zu vernetzen. Die besondere Herausforderung besteht beim Internationalen Verteilen und Vernetzen der Wertschöpfungsaktivitäten, die dadurch zusätzlich entstehende Komplexität zu beherrschen und vor dem Hintergrund eines dynamischen Faktor- und Absatzmarktes die Prozesse im Netzwerk beherrschbar zu halten. Als problematisch erweist sich hier allerdings das fehlende Instrumentarium. Existierende Ansätze zur Standortstrukturplanung sind vielfach einem (statischen) faktortheoretischen Paradigma verhaftet und damit kaum geeignet, die Formulierung eines langfristig stabilen Orientierungsrahmens für die internationale Präsenzstruktur, eines strategischen Standortstrukturkonzepts, zu leisten. Bekannte Ansätze zur Standortstrukturplanung weisen indes deutliche Defizite auf, das dynamische Verhalten des Gesamtsystems bei der Standortstrukturplanung zu berücksichtigen, da sie nur quasistatische Größen wie Kosten, Kapazitäten, Transportwege etc. erfassen. Grundlegende Motivation des Vorhabens war daher die Entwicklung eines Erklärungsmodells zur Erfassung des dynamischen Systemverhaltens. Dabei wurden die Elemente des Produktionssystems sowohl in statischer Hinsicht (in den Dimensionen räumliche und sachliche Heterogenität der Leistungserstellung) als auch in dynamischer Hinsicht (in den Dimensionen Stabilitätsanforderung und Reaktionsfähigkeit der Prozesse) bewertet und zu einem Gesamtsystem verknüpft. Es standen insbesondere die Aspekte der Auswirkung und Fortpflanzung von ungeplanten und unvermeidbaren Prozessstörungen im Mittelpunkt, die das Verhalten des Gesamtsystems in der Praxis bis zum Zusammenbruch des Produktionsnetzwerkes stören können. Ziel war in der Folge der Aufbau eines Beschreibungs-, Erklärungs- und Gestaltungsmodells, mit Hilfe dessen dieses Systemverhalten bei der Standortstrukturplanung berücksichtigt werden kann. So wurde in einem ersten Schritt auf Grundlage der allgemeinen Systemtheorie sowie der Komplexitätstheorie und der allgemeinen Betriebslehre ein Beschreibungsmodell für Verbundproduktionssysteme erarbeitet. Dabei wurden die Bewertungsdimensionen der räumlichen und sachlichen Heterogenität von Aufgaben und zur Verfügung stehenden Standorten und Betriebsmitteln (statische Betrachtung) sowie die Bewertungsdimensionen für die Stabilitätsanforderung und das Reaktionsvermögen (dynamische Betrachtung) ausdifferenziert und untersucht. Insbesondere wurde dabei gezeigt, dass sich die Wettbewerbssituation eines Verbundproduktionssystems vollständig als Entsprechungsgrad zwischen geforderter und angebotener räumlicher und sachlicher Heterogenität der erstellten Leistungen erfassen lässt und wie sich diese zwei Dimensionen ausreichend scharf voneinander trennen lassen. Zudem wurde gezeigt, wie sich das dynamische Systemverhalten eines Produktionsnetzwerkes als Folge der Nichtentsprechung von Stabilitätsanforderungen bzw. Reaktionsgeschwindigkeit beschreiben lässt und deren Entsprechungsgrad in der ausgeführten Art und Weise zu klassifizieren ist. In einem zweiten Schritt wurde auf Basis des erarbeiteten Beschreibungsmodells ein Erklärungsmodell entwickelt, welches ein Verbundproduktionssystem als Leistungskette versteht, für deren einzelne Glieder der statische und dynamische Entsprechungsgrad bemessen werden kann, um so den Eignungsgrad einer Struktur für die Erfüllung der Leistungsforderung (und damit seine Wettbewerbsfähigkeit) zu bewerten. Dabei wurde gezeigt, in wieweit der vorgestellte Ansatz einer Leistungskette die Wettbewerbsfähigkeit einer Standortstruktur sowie der Gestalt der Beziehungen der Standorte untereinander in der im Rahmen des Beschreibungsmodells vorgeschlagenen Art und Weise erklärbar ist. Dabei kann insbesondere das dynamische Systemverhalten ursächlich auf den beschriebenen Entsprechungsgrad zwischen Anforderung und Angebot zurückgeführt werden. Hierbei ist die vorgeschlagene Erklärung von Wettbewerbsvorteilen als Folge einer hohen statischen und dynamischen Entsprechung von Anforderung und Angebot geeignet, um Standort- und Strukturalternativen qualitativ und quantitativ miteinander zu vergleichen. Dabei lassen sich aus einem mangelnden Entsprechungsgrad Handlungsimplikationen auf die Standort- und Standortstrukturplanung ableiten, um die Wettbewerbsfähigkeit der bestehenden oder zu erstellenden Strukturen zu steigern. In einem dritten Schritt wurde ein Gestaltungsmodell entwickelt, das zur Lösung von Verlagerungsentscheidungen und Restrukturierungen von Wertschöpfungsnetzwerken heranzuziehen ist. Aus der Analyse von identifizierten Schwachstellen sind Gestaltungsvorschläge erarbeitet und Unternehmen unterbreitet worden. Durch Bewertung dieser Gestaltungsvorschläge und durch einen Prozess der kontinuierlichen Anpassung des Entscheidungsmodells an die Ergebnisse wurde das Modell kontinuierlich ausgestaltet und ausgelegt. Indem beispielhaft getroffene oder noch zu treffende Verlagerungsentscheidungen anhand der räumlichen und inhaltlichen Entsprechung ihrer Einzelprozesse nachvollzogen wurden, konnte und kann das Entscheidungsmodell ausgestaltet und weiter ausdifferenziert werden. Mit dem Komplexitätsmodell für Produktionsnetzwerke steht nun ein Hilfsmittel zur Verfügung, die Komplexitätsanforderung an einen Standortverbund zu beschreiben und plausible Erklärungen hinsichtlich der im Netzwerk zu erwartenden Emergenz- und Turbulenzeffekte zu liefern. Auf diese Weise können aus der absatz- und beschaffungsmarktseitigen Umweltsituation plausible Empfehlungen hinsichtlich eines grundsätzlichen Standortstrukturkonzepts für multinational produzierende Unternehmen abgeleitet werden. Zudem haben Unternehmen die Möglichkeit, ein bestehendes Wertschöpfungsnetz zu bewerten sowie Implikationen abzuleiten, um das Netzwerk zu restrukturieren. Die Vielzahl der in der unternehmerischen Praxis im Zusammenhang mit der Standortstrukturplanung anzutreffenden Größen konnte dabei im Zuge der Untersuchung auf wenige wesentliche Struktureigenschaften bzw. Netzwerkcharakteristika zurückgeführt werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Delivery Reliability in Non-Hierarchical Manufacturing Networks. 3rd International Conference on Changeable, Agile, Reconfigurable and Virtual Production: 2009
- Konzeption einer aufbauorganisatorischen Gestaltung eines regelbasierten Netzwerks. ZWF - Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, S. 572-575; 09/2009
- An Approach for Systematic Production Network Design. 43rd CIRP International Conference on Manufacturing Systems in Wien, 2010
- Komplexitätsorientierte Gestaltung von Unternehmensnetzwerken. ZWF - Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, S. 773-777; 9/2010
- Konzept eines regelbasierten Produktionsnetzwerks - Skizzierung der Aufbau- und Ablauforganisation für regelbasierte Netzwerke. wt Werkstattstechnik online S. 277-281; 04/2010
- Production Network Design - Vorgehensweise zur systematischen Konfiguration von Produktionsnetzwerken. wt Werkstattstechnik online S. 259-263; 04/2010
- Standortspezifische Gestaltung von Informations- und Anreizsystemen ZWF - Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb S. 468-472; 05/2010
- Dealing with the need for flexibility and economies of scope in global production network design. 1. WGP Jahreskongress, 2011
- Framework for Complexity-Oriented Allocation of Production in Non-Hierarchical Networks. ICE Conference in Aachen; 2011
- Integrated Approach for global production network planning. CAPE Conference Edinburgh; 2011