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SPP 1173:  Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter

Fachliche Zuordnung Geisteswissenschaften
Förderung Förderung von 2005 bis 2011
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5472139
 
Leitidee des Schwerpunktprogramms ist die Einsicht, dass Europa in seiner Geschichte niemals eine Einheitskultur gewesen ist. Verworfen wird also die weit verbreitete Auffassung, dass das europäische Mittelalter nur eine lateinisch-christliche Kultur gewesen sei. Diese Annahme beruht offensichtlich auf einer zeitgebundenen Identitätsvergewisserung, die im Hinblick auf die Wahrnehmung der Gegenwart und auf die Bewältigung der schon gestellten und zu erwartenden Zukunftsaufgaben versagt. Es geht also nicht darum, eine europäische Identität zu entdecken oder gar zu affirmieren, sondern im strikt wissenschaftlichen Sinne nach der Dialektik von Integrations- und Desintegrationsprozessen zu fragen, die einander ablösen und bedingen und von denen angenommen wird, dass sie die europäische Geschichte besonders kennzeichnen.
Dem schließt sich eine weitere Grundannahme an, die besagt, dass es insbesondere die drei monotheistischen Religionen Christentum, Islam und Judentum gewesen sind, die kulturelle Formationen ( Großkulturen ) geprägt haben, wobei beim europäischen Christentum die römische von der orthodoxen Kirche zu unterscheiden wäre. Einheit und Differenzen Europas kommen im Mittelalter nirgends besser zum Ausdruck als im Bereich der Religionen, die im Sinne von Clifford Geertz als kulturelles System verstanden werden. Im Vergleich zu anderen kulturellen Systemen, etwa Politik, Ökonomie oder auch Recht, war die Religion in der Vormoderne eine Ausprägung von Kultur , die das Denken, Kategorisieren, Handeln und den sinnhaften Aufbau der Welt bei den mittelalterlichen Menschen gewiss am stärksten geleitet hat.
Die monotheistischen Religionen lassen sich als europäischer Integrationsfaktor ersten Ranges erkennen, doch gleichzeitig konnte die Integration prinzipiell unverträglicher Religionen und Kulturen zwar zu sektorialen Einheiten führen, nie und nirgends aber zu einer vollendeten europäischen Ganzheit. Wo der Zwang zur Anpassung übertrieben wurde - etwa im hohen Mittelalter bei der Verdichtung der werdenden christlichen Nationalmonarchien des westlichen Europa bzw. beim päpstlichen Zentralismus -, entstanden bald neue Differenzen durch Ausbildung ungewöhnlich erfolg- und variantenreicher Häresien. Aus diesem Befund ergibt sich eine zentrale Aufgabe des geplanten Schwerpunktprogramms: Es will ergründen, wo religiöse Gegensätze weiter reichende lebensweltliche Differenzen gestiftet und wo Gemeinsamkeiten jenseits religiöser Differenzen zur europäischen Integrationen beigetragen haben.
Forschungen, welche die europäische Einigung als Problem auffassen (wenn sie diese auch als Aufgabe nicht in Frage stellen), könnten also aufweisen, dass eine rigorose Abgrenzung Europas nach außen im Gegensatz zur historischen Erfahrung (und Erfolgsgeschichte) der Europäer stünde. Die europageschichtliche Fragestellung des geplanten Schwerpunktprogramms kann deshalb nicht von den Nationalgeschichten ausgehen und sich auch nicht auf die Agenda von mediävistischen Einzelfächern beschränken, sondern muss vielmehr interdisziplinär und transkulturell arbeiten. Dem trägt das Schwerpunktprogramm dadurch Rechnung, dass es Forschungsprojekte aus der abendländischen Welt, aus der byzantinischen bzw. russischen Orthodoxie, aus dem Judentum und dem Islam aufeinander bezieht.
DFG-Verfahren Schwerpunktprogramme
Internationaler Bezug Frankreich, Österreich, Schweiz, Spanien

Projekte

stellvertr. Sprecher Professor Dr. Bernd Schneidmüller
 
 

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